Bis heute haben sich die Forscher nicht auf die Zeit einer frühen ständigen Besiedlung im Raum der heutigen Stadt Netphen festgelegt. Es gab keine Stadtmauer, keinen Stadtkern, nur Befestigungsanlagen rund um das älteste und noch bestehende Wahrzeichen Netphens, die Martini-Kirche. Sie wurde auf einer Felsnase am Zusammenfluss von Obernau und Sieg erbaut; weithin sichtbar war sie eine Wegmarke der Region und rief die Menschen aus den umliegenden Ortschaften zum Gottesdienst.
Die älteren Gemeindeglieder kennen noch die Bezeichnung für die Seitentüren „Brauersdorfer“ und „Deuzer Seite“, weil von dort die Menschen aus diesen Richtungen zum Gottesdienst kamen. Auch die Netpher hatten in alten Zeiten nicht die breite Freitreppe zur Verfügung, sondern einen Zugang, der im Kriegsfall leicht zu verteidigen war. Denn die Kirche und bot den Menschen der Umgebung Schutz vor Feinden, wie bis heute am Kirchturm mit seinen Schießscharten leicht zu erkennen ist.
Die äußere Befestigungsmauer ist nicht mehr erhalten und auch nicht dokumentiert. Sie wird entlang der heutigen Kirchhofsmauer verlaufen sein, wobei der älteste Kirchhof wohl bis zum zweiten Querweg des Friedhofs reicht, ca. 20 Meter hinter der angebauten Kapelle; dort haben die Totengräber bei der letzten Belegung dieser Grabfelder vor einigen Jahrzehnten in Grabtiefe Quadersteine entdeckt, die wohl das Fundament einer ehemaligen Mauer bildeten.
Wir müssen davon ausgehen, dass das Niveau des Kirchhofs einmal niedriger lag als heute. Im Laufe der Generationen sind Schutt und Erdreich abgelagert worden, aber auch die vielen nacheinander in den Gräbern beigesetzten Menschen samt Särgen und Grabbeigaben und Pflanzen auf den Gräbern haben das Gesicht des Friedhofs verändert.
Das erklärt auch, dass die Massengräber, die links vom Eingang zum Kirchhof gefunden wurden, tief in den Boden eingebettet sind. Wahrscheinlich handelt es sich um Pestgräber aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als die größte Pest-Epidemie Netphen im Jahr1635 heimgesucht hat. Es ließ sich nicht verhindern, dass bei der unumgänglich notwendigen Erneuerung der Stützmauer am Kirchhof die Totenruhe der Pesttoten gestört wurde. Wir haben seinerzeit versucht, die Gebeine zu bergen. Sie wurden wieder beigesetzt auf der Deuzer Seite unter dem Gedenkstein der vereinzelt in der Wiese steht.
Der Gedenkstein zeigt zwei Inschriften: Joh. 5, 28 – Alle, die in den Gräbern sind, werden seine Stimme hören; und: Menschen vergessen – Gott kennt ihre Namen. Dieser Gedenkstein ist den Pesttoten und allen Menschen gewidmet, die in über 1000 Jahren auf unserem Friedhof beigesetzt wurden. Von den meisten wissen wir nichts mehr, aber alle Menschen, die jemals auf unserem Kirchhof beigesetzt wurden, sind der Liebe Gottes befohlen, die ewig bleibt.
Dass die Altvorderen die Friedhöfe um die Kirchen herum angelegt haben, hatte auch den Sinn, die Verstorbenen möglichst eng mit der Gottesdienstgemeinde der Lebenden verbunden bleiben zu lassen. Früher wurde sogar der restliche Messwein durch eine Wandöffnung in der Sakristei auf den Friedhof geschüttet, damit die Verstorbenen symbolisch am Mahl des Herrn beteiligt waren.
Leider sind nur noch fünf historische Grabmale erhalten, ein Kissenstein der Elisabeth Diez, das gusseiserne Grabmal von Hauptmann Carl Weyland und drei stehende Steine, einer aus Schiefer, die anderen aus rotem und gelbem Sandstein; die drei letztgenannten Steine sind schwer oder gar nicht mehr zu entziffern und warten auf eine sachkundige Restaurierung.
Das hervorragende Kunstwerk auf dem Kirchhof ist das schmiedeeiserne Eingangstor, das fast jeden Bildband über Netphen ziert. Es ist in der Barockzeit entstanden; der Torbogen nennt die Jahreszahl 1706 (möglicherweise die Zeit, aus der auch die Kanzel in der Kirche stammt). Zwei Engel empfangen die Besucher des Kirchhofes und blicken sie ernst und wachsam an. Die beiden Engel stellen die Hüter des Heiligen Bezirks dar.
Der barocke Kapellenanbau an den Chor der Martini-Kirche stammt aus der Zeit des katholischen Pfarrers Loos (1711 – 1740). So kommt es, dass beim Blick von der Empore durch das frühgotische Fenster dahinter das barocke Rundfenster der Kapelle sichtbar wird. Unterhalb des Chorfensters gab es einmal einen Durchbruch zur Kapelle, die in der Zeit der Kirchennutzung durch beide Gemeinden allein der katholischen Kirchengemeinde gehörte und als Sakristei diente. Die Tür zur Sakristei wurde durch den davor stehenden Hochaltar verdeckt.
Die Anfänge der Kirchengemeinde sind nicht dokumentiert, weder archäologisch noch schriftlich. Der Kirchturm stammt vermutlich aus einer Zeit um das Jahr 1000. Eine Bestandsaufnahme des Kirchenbaus vor dem 1. Weltkrieg spricht von einem Grundstein mit der Jahreszahl 1000, der jedoch nicht gefunden werden konnte. Ursprünglich war der Turm wesentlich höher; infolge von Blitzschlag brannte der Turm 1590 aus. Anschließend wurde er in der jetzigen Höhe rekonstruiert. Auch vor dem Bau des gewaltigen Kirchturms muss es Kirchbauten an gleicher Stelle, aus Stein oder Holz errichtet, gegeben haben.
Der Name des Kirchenpatrons Martin könnte einen Hinweis auf die Gründungszeit der Kirchengemeinde anbieten. Martin von Tours wurde nach seinem Tod im Jahr 397 von König Chlodwig zum Nationalheiligen des Frankenreiches erklärt. In der frühen Zeit der Mission im Frankenreich wurden die neu gegründeten Kirchen dem Nationalheiligen St. Martin gewidmet. Allerdings gibt es auch über die Gründungszeiten der benachbarten Martini-Gemeinden z.B. in Siegen, Feudingen, Raumland oder Fredeburg keine Informationen, die zum Vergleich herangezogen werden könnten. Die Vermutung ist durchaus einleuchtend, dass die Martinskirchen vor der Zeit des Bonifatius um 700 gegründet wurden, da Bonifatius und seine Missionare die Kirchen nach dem Hl. Petrus zu benennen pflegten (z.B. Peterskapelle in Netphen).